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Der Weg nach Santiago de Compostela

Im Mittelalter gab es drei besonders bedeutende Pilgerstätten: Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela. Bald zogen die meisten Wallfahrer zu St. Jakob im "Sternenfeld". Eine vielseitige Literatur beschäftigt sich in unserer Zeit mit den Spuren der damaligen Pilger nach Santiago de Compostela. Ausschlaggebend für die gefahrvolle Reise waren ein Gelübde (ex voto) oder Sühne für die Sünden (ex poenitentia). Die Pilgerschaft konnte wegen eines Verbrechens auferlegt sein oder sie geschah aus freiem Willen (voluntarie).

Vor 15 Jahren fuhr auch eine Gruppe der Kirchengemeinde Horb unter Führung des Pallottinerpaters Alexander Walser nach Santiago de Compostela. Dabei verstanden die Reisenden die Fahrt nicht nur als ein Touristenziel, sondern als Wallfahrt. In Santiago durften sie die Ergriffenheit der vielen Pilger miterleben. Manchem Besucher dieser heiligen Stätte wurde wohl dabei die Bedeutung der mittelalterlichen Wallfahrt verständlich, die schon um 1100 einen ersten Höhepunkt erreichte. Die Zahl der Einzelpilger wie auch der Gruppen beider großen Konfessionen haben in letzter Zeit erheblich zugenommen. Im Horber Bereich suchte man die Spuren der einstigen Pilger zu erkunden. Die St. Jakobuskirche in Ihlingen, die ehemalige Mutterkirche von Horb mit ihren Bauelementen schon aus dem 12. Jahrhundert, liegt auf einer Nord-Süd-Pilgerachse. Das Jakobus-Patrozinium ist seit dem Jahr 1400 nachgewiesen (vgl. Kapitel Ihlingen). Bei St. Jakobus zu Ihlingen fand der Fremde Zuflucht und im nahen Siechenhaus Herberge. Nach Hell könnten Pilger selbst aus dem hohen Norden auch über Bamberg, Rothenburg, Winnenden, Cannstatt und Horb nach Santiago gezogen sein.1 Die Pilger wandten sich dann nach Süden oder schlossen sich Wandergruppen an nach Westen über Loßburg; denn viele Wege führten einst vom Neckartal nach Santiago de Compostela. Machte sich eine Gruppe vom Kinzigtal auf, um zum Apostelgrab nach Galizien zu ziehen, schlossen sich sicherlich auch Pilger aus dem oberen Neckarraum an - wie dies auch heute üblich ist, nur führt die Route jetzt öfters über den Flughafen Frankfurt! Historisch belegt ist die Wallfahrt des jungen Witwers Hans Marx II. von Bubenhofen aus Leinstetten im Jahre 1550 nach Santiago de Compostela. Allerdings kennen wir nicht seinen Weg und seinen Verbleib.

Den Jakobus-Stein von Dimitri Petrov vor der Ihlinger Kirche soll den einstigen und heutigen Pilgerweg nach Santiago de Compostela dokumentieren. Großzügige Spender ermöglichten das Denkmal. Die Einweihung am 30. Oktober 1994 veranlasste die Ihlinger und Horber Initiatoren aus der Kirchengemeinde Horb einen Jakobus-Pilgerweg von Horb / Ihlingen nach Loßburg zum Kinzigtäler Jakobusweg als Wanderweg auszuschildern.

Der Jakobus-Pilgerweg vom Neckartal zum Kinzigtal beginnt bei der Liebfrauenkirche in Horb und führt über Ihlingen, Dettingen, Priorberg, Kaltenhof, Leinstetten, Wittendorf nach Loßburg zum dortigen Jakobusstein nahe der Jakobskirche. Hier nimmt der Kinzigtäler Jakobusweg seinen Anfang. Die Wanderstrecke Horb - Loßburg beträgt etwa 25 km. Eine stilisierte gelbe Muschel markiert die Route; denn die umgehängte Muschel diente den Pilgern zum Wasserschöpfen und ist daher zum traditionellen Zeichen der Jakobuspilger geworden. Wie auf dem "Camino" in Spanien ist das Wegzeichen in Gelb gehalten.

Der heutige Wanderpfad führt weitgehend auf alten geschichtlichen Wegen. Oft sind diese aber unbegehbar, an Hanglagen abgerutscht, in Schluchten zugewachsen oder sie wurden aufgefüllt. Beim Straßenbau und in Waldgebieten sind neue Wege nach heutigen wirtschaftlichen Gesichtspunkten angelegt und die alten rekultiviert worden. So mussten neue Verbindungsstrecken zu möglichst historischen Stätten gesucht werden.

Nicht selten zogen Pilger in früheren Zeiten abseits des geraden Weges zu heiligen Stätten. So führt auch der Wanderweg heute von Dettingen über Priorberg. Vor dem 30-jährigen Krieg stand hier eine Pauliner Eremiten-Klause. Die alte Leinstetter Steige von Dettingen aus ist nicht mehr begehbar, und die neue Fahrstraße ist als Wanderweg nicht geeignet.

Die frühe Christianisierung des unteren Kinzigtales beeinflusste auch unseren Raum. Gegenseitige Beziehungen entwickelten sich. So ist Kirnbach bei Wolfach im Jahre 1275 als Dekanatsort für den Verwaltungsbereich von Gengenbach bis Ostdorf bei Balingen genannt.2 Der erste Kirchbau dort wird jedoch schon vor dem Jahre 1000 vermutet.3 In Breitenau (Wälde) war einst eine Brigida-Kirche. Brigida war auch Mitpatronin in Bettenhausen, erwähnt auf einem Reliquiar aus dem Jahre 1089 (heute im Diözesan-Museum in Rottenburg) und in Heiligenzimmern. In Lombach ist ein St. Brigida-Brunnen nachgewiesen.4 Die Verehrung dieser irischen Nationalheiligen lässt auf einen sehr frühen Einfluss irisch-schottischer Mönche schließen, nicht nur von St. Gallen und Reichenau über die ehemalige Römerstraße aus dem Süden5, sondern im Hinblick auf das frühe ausgedehnte Kirnbacher Dekanat und die Gengenbacher Klostergründung bereits um das Jahr 7276 auch über die einstige Römer- und spätere Königsstraße vom Westen her. Der Einfluss des Schottenklosters Honau bei Straßburg (schon 720 gegründet - noch vor dem Kloster Reichenau) ist durch die Brigida-Verehrung ebenfalls nahe liegend; denn in Honau wurde einst das Haupt der Heiligen als Reliquie verehrt.

Die Kinzigtäler Königsstraße ist zu einer wichtigen West-Ost-Verbindung geworden. Die heutige Wegführung dorthin kann aber aus den oben erwähnten Gründen nicht durchweg als historischer Pilgerweg deklariert werden.

"Der Europarat hat 1986 auf Antrag Spaniens den Jakobusweg im Ganzen zum europäischen Kulturgut erklärt und unter Ensemble-Schutz gestellt."7

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1 vgl. Hell, Vera und Hellmut, a.a.O., S. 273

2 vgl. EAF: Ha 56, fol. 6a-9a; FDA, Bd. 1, Freiburg 1865, S. 35-42.

3 Auf Grund von Ausgrabungsfunden wird in Kirnbach der Kirchenbau vor dem Jahre 1000 vermutet (vgl. 700 Jahre Kirnbach, 1975, S. 21f).

4 vgl. HStAS: H 102/63, fol. 8a (Reichenbacher Lagerbuch 1543)

5 Die Schenkungen an das Kloster St. Gallen in Glatt im Jahre 731/736 und in Priorberg im Jahre 790 (vgl.

  UBAStG, Teil I, S. 6, 7, 116). Weitere Besitzungen hatte das Kloster in unserem Raum in Betra, Dettensee und Empfingen. Die Reichenau war begütert in Empfingen und Bierlingen. Wittlensweiler hat eine St. Gallus-Kirche. Von Norden her hatte das Kloster Lorsch Einfluss in Dornstetten (vgl. Lorscher Kodex Urk.-Nr. 3195-3205 u.a., erstmals um 768?) und Dornhan (Urk.-Nr. 3314 um 777?).

6 Der Missionsbischof Pirmin von der Reichenau soll mit Unterstützung des fränkischen Grafen Ruthard d.Ä die Abtei Gengenbach gegründet haben. Lothringische Benediktinermönche aus Gorze bei Metz brachten das Kloster bis zum Jahre 820 zu hohem Ansehen. - Vgl. ausführlichen Quellennachweis in: A. Krieger, a.a.O., Bd. I, S. 694

7 Lipp, Wolfgang, der Weg nach Santiago, a.a.O., S. 2

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